Garaus - wann wir wirklich am Ende wären
Monatsspruch für Oktober:
„Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.“
Klagelieder 3, 22-23
Garaus
„Gar aus sein“ ist eine Redewendung aus der mittelalterlichen Zeit Luthers. Am Ende des Tages wurden alle Stadttore geschlossen. Wer noch draußen war, musste draußen bleiben, ungeschützt den Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt. Eine schreckliche Vorstellung, die wir vielleicht in Luthers Worten eher nachempfinden, als zum Beispiel in denen der Elberfelder Bibel, die so übersetzt: „Ja, die Gnadenerweise des HERRN sind nicht zu Ende.“ Luthers Formulierung scheint mir für meine Betrachtung, bezogen auf den Inhalt des ganzen Kapitels 2 der Klagelieder, hier sehr passend und eindrücklicher.
Wir müssen wirklich das komplette Kapitel lesen, um die wahre Tiefe dieser einzelnen zwei Verse zu begreifen. Dieses Kapitel ist schwere Kost. In kaum zu ertragenden Bildern werden die Katastrophen des Lebens aufgezählt, die den Schreiber zunächst zu einem offenen, bitteren Bekenntnis bringen: „Meine Seele ist aus dem Frieden vertrieben; ich habe das Gute vergessen. Ich sprach: Mein Ruhm und meine Hoffnung auf den HERRN sind dahin.“ (Verse 17 und 18)
Trainieren mit dem Schmerz
In Vers 27 wird empfohlen, sich so früh wie möglich mit den Schmerzen des Lebens vertraut zu machen. Das behagt mir erstmal überhaupt nicht. An dieser Stelle poppt in mir eine Warnung aus der Medizin auf: Lass nicht zu, dass dein Organismus Schmerz „lernt“. Du riskierst, den Schmerz nicht mehr loszuwerden. Dauerschmerzen sind Horror. Dann fällt mir eine andere Erkenntnis der Medizin ein: Schmerzempfinden könne man zwar nicht abschalten, aber lindernd beeinflussen. Das geht auch mental.
Vor Gott eigene Lebensschmerzen auszubreiten und zu versuchen, sie im Bewusstsein seiner Gegenwärtigkeit anzunehmen, scheint ein guter Weg zu sein, um nicht zu verzweifeln oder in der Selbstaufgabe zu enden.
Anschauen und Klagen
Betrachtung und Klage vor Gott über ein schweres Leben können hilfreich sein, auch wenn dies die Situationen nicht ändern wird. Zu erkennen, dass wir selbst die Konsequenzen unseres schlechten Handelns, unserer Sünde tragen müssen in Gemeinschaft mit anderen Menschen hilft uns dabei, uns ehrlich zu machen vor uns selbst und vor Gott. Es Gott zu klagen, wenn wir selbst Unrecht erleiden, stärkt unsere Hinwendung und unsere Beziehung zu ihm.
Wir realisieren, dass uns im Angesicht Gottes Gutes und Böses gleichermaßen
begegnet.
Wir bejahen, dass wir uns zeitweise auch im Getrenntsein von ihm befinden. Dieses Getrenntsein von ihm beklagen wir und wir fühlen es wie eine Strafe.
Die Wahrheiten in unserem Leben in selbstehrlicher Haltung anzuschauen hilft uns, in Konsequenzen besser mit ihnen zurechtzukommen.
Hoffnung pflegen
Macht das Aufrechterhalten von Hoffnung denn Sinn? Jeder weiß doch, wieviel Kraft das kostet. Wie viele Gedanken das bindet. Wie schwer Rückschläge und Enttäuschungen zu verkraften sind.
Der Schreiber der Verse weiß, warum er an der Hoffnung festhält: „…denn meine Seele sagt mir’s.“ (Vers 20) Er weiß, dass er „Teil hat an Gott“ – so wie die Stämme Israels und die Einzelnen gesicherte Anteile am verheißenen
Land bekommen hatten. (Vers 24)
Diese Teilhabe ist der Grund aller Hoffnung: Gott hat sich verbunden mit mir und sorgt selbst für mein Recht und meine Sicherheit bei ihm. Auf den Punkt gebracht: „Er erlöst mein Leben“ (Vers 58) – das ist geschehen in Jesus, er hat dafür gesorgt.
Wann wir wirklich am Ende wären
Den Garaus können eigentlich nur wir selbst uns machen - es ist nicht Gott, der uns das antun würde. Wir wären dann am Ende, wenn wir nicht auf seine angebotene Gnade und auf seine Barmherzigkeit vertrauen würden.
Er selbst hat nichts als Gnade für uns. Unendlich viel und beständig. Seine Gnadenerweise spielen immer wieder erkennbar in unser Leben hinein, wir müssen sie nur wahrnehmen.
Daneben steht aber auch das große Geheimnis des Glaubens, auf seine Zuwendung zu vertrauen, die wir über viele Strecken nicht sehen können. Von diesen Situationen, den Katastrophen unseres Lebens, spricht der Text. Hier ist unsere Seele gefragt, die in Kommunikation mit Gottes Geist steht. In einer Art, die wir nicht erklären können. Unsere Seele kann sich erinnern an intensive Begegnungen mit Gott (Verse 55 ff). An Rettung aus tiefen Tälern. An die Freude über ihn. Es ist gut, diesen Erinnerungen unserer Seele zu folgen und ihnen zu vertrauen, gerade in schweren Zeiten.
Gott hält die Tür für uns offen!
Susanne Linhart